Richard Jung über „Die unterschätzte Superkraft im Medienzeitalter“

Kaum ein Thema zieht sich so hartnäckig durch die Geschichte des Kommunikationsdesigns wie die Frage nach seiner Wertschätzung. Honorare, Hochschulausbildung, Verbandsarbeit – seit jeher wird darüber gestritten. Schon Werkbund und BDG beklagten vor über hundert Jahren, dass die „Gebrauchsgraphik“, wie sie damals hieß, nicht den Stellenwert erhielt, den sie verdient hätte.
Genau hier setzt Richard Jung an. Sein neues Buch trägt den programmatischen Untertitel „Verständnis für ein Fachgebiet, das an Unverständnis leidet. Der bisherige Schaden ist groß, doch das Zukunftspotenzial ist um ein Vielfaches größer.“ Jung will zeigen, warum die Disziplin auch heute noch nicht dort steht, wo sie nach der Branche hingehört.
Der Autor und sein Anliegen
Jung, Professor für Kommunikationsdesign und ADC-Vorstand, bringt zwei Perspektiven zusammen: die akademische und die praktische. Sein schmales, 124 Seiten starkes Buch richtet sich deshalb nicht nur an Studierende oder Lehrende, sondern ebenso an Agenturen, Verbände und Kommunikationsprofis – kurz: an alle, die Design nutzen oder gestalten.
Kernthesen und Spannungsfelder
Jung führt durch die Geschichte und Gegenwart seiner Disziplin, vom Bauhaus bis zur KI. Fünf Themenfelder stechen heraus:
- Unterschätzte Disziplin: Kommunikationsdesign bekommt in Wirtschaft und Politik oft zu wenig wirkliches Gewicht. Das liegt auch an der Unschärfe des Begriffes, der eigentlich viele Disziplinen umfasst, sowie der Bevorzugung von Rationalität gegenüber Kreativität. So wird Kommunikationsdesign häufig geringgeschätzt, schlecht bezahlt und zu spät eingebunden – mit dem Effekt, dass Chancen für Unternehmen und Gesellschaft ungenutzt bleiben.
- Probleme der Ausbildung: Hochschulen bilden nach Jungs Analyse am Markt vorbei aus – mit unklaren Zielen, übermäßiger Akademisierung, auf Kunst und Handwerk fixierte Curricula und Lehrenden ohne Branchenkenntnis. Während KI handwerkliche Bereiche ersetzt, fehlen Marktverständnis, Didaktik, Zielgruppenorientierung und Spezialisierungen.
- Gesellschaftliche Relevanz: Kommunikationsdesign kann Vertrauen schaffen, Marken erlebbar machen, Orientierung geben und Teilhabe ermöglichen. Jung versteht es damit nicht bloß als Werkzeug, sondern als Kulturgut und Schlüsseldisziplin einer zunehmend komplexen, multimedialen Welt.
- Ordnungssystem als Schlüssel: Um die zunehmende Komplexität der Medienwelt zu fassen, schlägt Jung ein dreistufiges Modell vor: Denkebene (Analyse, Konzept, Planung), Entwurfsebene (Visualisierung, Skizzen, Modelle) und Umsetzungsebene (Handwerk, Technik). Dieses System macht nicht nur Rollen und Prozesse nachvollziehbar, sondern beleuchtet auch die Implikationen durch KI auf allen drei Ebenen.
- Zukunft und Transformation: Aus seiner Diagnose leitet Jung klare Forderungen ab – Spezialisierung, klare Lernpfade und Ausbildungsziele. Dabei formuliert er acht notwendige Schritte, die Politik, Hochschulen, Verbände und Praxispartner gleichermaßen in die Pflicht nehmen. Sein Ziel: fachliche Exzellenz und integrative Kompetenz in der Ausbildung zu verankern, damit Kommunikationsdesign als Disziplin zukunftsfähig wird und seine Wirkung auf Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur voll entfalten kann.
Eigene Einordnung
Viele von Jungs Punkte decken sich mit meinen eigenen Erfahrungen als Praktiker, Verbandsmitglied und Lehrbeauftragter. Deshalb kann ich auch vielen seiner Forderungen, ob Aufnahmeprüfungen, mehr Praxisbezug oder die Notwendigkeit klarer Lernpfade, gut zustimmen.
Gleichzeitig stellt sich für mich die Frage: Ist die von ihm geforderte umfassende Transformation realistisch? Hochschulen verändern sich nur langsam, und das föderale Bildungssystem kennt viele Blockaden. Mindestens so plausibel erscheint mir ein Szenario, in dem Kommunikationsdesign als Hochschulfach im Elfenbeinturm verschwindet und nur noch indirekte Impulse gibt – etwa für ein schulisches Fach „Design“ das zusammen mit „Wirtschaft“ die kulturelle Grundbildung neben Lesen, Schreiben und Rechnen für die heutige Welt bildet.
Fazit
Trotz seiner Kürze ist Jungs Buch gehaltvoll und pointiert. Es bietet einen kompakten Überblick über den Status quo des Kommunikationsdesigns und die Handlungsfelder für seine Zukunft. Wer sich in der Branche bewegt, wird vieles wiedererkennen – und wer von außen einsteigt, bekommt eine klare Orientierung.
Empfehlenswert ist dieses Buch für alle Zielgruppen, die Jung selbst benennt: kreative Talente, Lehrende, Hochschulleitungen, Bildungspolitik, Agenturen, Designstudios und Berufsverbände sowie Profis aus Medien, Kommunikation und Marketing.
Es ist Jung zu wünschen, dass sein Buch die Debatte nachhaltig verändert. Denn es liefert eine klare Analyse, wichtige Argumente und ein Ordnungssystem – und vielleicht den Anstoß, Kommunikationsdesign tatsächlich zu transformieren. Sein Schlusswort bringt es auf den Punkt: „Es gibt viel zu tun. Packen wir es an.“ Abgerundet wird das Buch durch weiterführende Links und Quellen, die eine Vertiefung ermöglichen.
Prof. Richard Jung: Kommunikationsdesign. Die unterschätzte Superkraft im Medienzeitalter. BoD 2025, Paperback 13,5 x 22,5 cm, 124 Seiten, 9,99 €