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So schön, weil es zu einfach ist?

Der dritte igo-Fachtag in Münster fragt nach Sinn und Unsinn von „sortierten Generationen“

Elena Oberholzer beim igo-Fachtag mit einem Zitat aus der Berliner Zeitung „Generation Z: Nur 30 Urlaubstage – ‚größter Nervenzusammenbruch ever‘.“

„Generation Z: Nur 30 Urlaubstage – ‚größter Nervenzusammenbruch ever‘.“

Schlagzeilen wie diese begegnen einem überall: in Recruiting-Kampagnen, Leitartikeln, Meetingpausen. Und mit ihnen die Etiketten – von „Die wollen alle nur Work-Life-Balance“ bis zu „die alten weißen Männer“. Wer von Generationen spricht, schafft Schubladen: sortiert, vereinfacht. Und manchmal: verfehlt.

Auch ich ertappe mich selbst dabei, wie ich auf solche Raster zurückgreife – nicht aus Ignoranz, sondern weil sie im Arbeitsalltag so bequem sind. Dennoch beschleicht mich die Ahnung, dass es, wenn von Generationen die Rede ist, in Wahrheit oft um etwas anderes geht.

Am 23. Mai 2025 fand im Franz Hitze Haus in Münster der dritte igo-Fachtag statt – unter dem Titel: „Sortierte Generationen – ein (über-)strapaziertes Erklärungsmodell?“. Eingeladen hatten das Institut für Gruppendynamik und Organisationsberatung (igo) und die DGGO. Der Fachtag war kein klassisches Symposium, sondern ein Resonanzraum – mit Impulsen, Gesprächen, Irritationen.

Katharina Semmler, Geschäftsführerin des Handwerkskammer Bildungszentrums (HBZ), eröffnete den Tag mit einem Blick auf den demografischen Wandel – aus der Perspektive des Handwerks und des Ausbildungssystems. Die Ausbildung, einst ein Sprungbrett für unternehmerische Karrieren, gerät zunehmend unter Druck. Viele ältere Lehrkräfte scheiden bald aus dem System, junge Lehrkräfte wandern ab. Meisterschulen verlieren an Bindungskraft – dabei fehlen vielerorts Fachkräfte und Betriebsnachfolgen. Zwanzig Prozent altersbedingte Fluktuation in den nächsten fünf Jahren – da müsse sich Führung an Gemeinsamkeiten orientieren, nicht an Zuschreibungen. Vertrauen, sagte Semmler, sei heute wichtiger als Kontrolle.

Anschließend lenkte Elena Oberholzer den Blick auf die mediale Logik: „Generation Z: Zu faul, um wahr zu sein“ – mit dieser provokanten Schlagzeile hatte die Schweizer Journalistin in einem Essay in der NZZ die Lust am Generationsklischee kritisiert. Sie zeigte aber auch: Der Generationsbegriff generiert Aufmerksamkeit – ihr Essay zählte zu den meistgelesenen Artikeln der NZZ. So ist es kein Wunder, dass das Thema immer wieder gespielt wird. Doch, so Oberholzer: Der vermeintliche Generationenkonflikt dient oft als Ausweichdiskussion. Er kanalisiert gesellschaftliche Spannungen, ohne sie offen zu benennen. „Zuschreibungen sind bequemer als Widersprüche“, sagte sie. Im Verlauf des Tages entstand daraus ein weiterer Gedanke: Die Generationen-Debatte ist nicht nur Flucht, sondern auch eine Art kollektive Verarbeitung. Wenn eine Gesellschaft über ihre Jugend spricht, spricht sie letztlich über sich selbst.

Einen besonderen Beitrag leistete die Studierendengruppe von Prof. Dr. Kolja Heckes (Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen (katho)), die den Fachtag mit offenen Beobachtungsaufträgen begleitete. Ihre Aufgabe war es, spontane Wahrnehmungen der Gespräche, Dynamiken und Inhalte aus der Perspektive ihrer eigenen Generation einzubringen – und so gleichsam Teilnehmende und Beobachtende zu sein.

In den anschließenden Resonanzgruppen wurde das Gehörte weitergedacht – ohne Struktur, aber nicht ohne Reibung. In meiner Gruppe trafen soziale Träger, Unternehmerinnen, Berater und junge Führungskräfte aufeinander. Schnell wurde klar: Die Reibung entsteht selten am Geburtsjahr – sondern dort, wo Rollen, Erwartungen und Unsicherheiten aufeinandertreffen.

Eine Teilnehmerin sagte: „Ich bin keine Generation. Ich bin jemand, der versucht, in einem widersprüchlichen System zu führen.“ Der Satz blieb hängen. Vielleicht, weil er deutlich machte, worum es eigentlich geht: nicht um Etiketten, sondern um Zumutungen. Vielleicht auch, weil die Teilnehmerin – wie ich – zur „Generation X“ gehört, die in der Diskussion anders als Boomer und Gen Z kaum vorkommt.

Dr. Angela Wernberger, Professorin für Soziologie an der katho, schärfte den theoretischen Rahmen. Sie verwies auf Karl Mannheim, der Generationen nicht über Alter definierte, sondern über geteilte Erfahrung: die sogenannte Generationslage. Entscheidend sei nicht die Jahreszahl – sondern die kollektive Prägung durch einen historischen Moment. Und die Frage, wie darauf reagiert wird.

Wernberger sprach auch vom „Generationendilemma“: Jede neue Generation soll bestehende Verhältnisse zugleich weiterführen und verändern. Integrieren und irritieren. Ein Paradox, das nicht auflösbar ist – aber produktiv gemacht werden kann.

Besonders eindrücklich war ihr Hinweis auf die sozialisierenden Bedingungen heutiger Jugend: Klimakrise, Krieg in Europa, algorithmische Öffentlichkeit, soziale Prekarität. Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler nennt das die „Erfahrungswirklichkeit einer Welt in Aufruhr“. Wer darin aufwächst, wird anders führen, kommunizieren, widersprechen – zwangsläufig.

In kleinen „Murmelgruppen“ wurden diese Gedanken weitergedacht und mit den Studierenden diskutiert – bevor der Tag mit einer lebendigen Panel-Diskussion endete, in der unter anderem Fragen zu Macht, Führung und struktureller Benachteiligung in Organisationen zur Sprache kamen.

Vielleicht ist die Rede von „Generationen“ am Ende nur ein Nebenschauplatz. Eine Ausweichbewegung, wenn wir über die wahren Spannungen nicht sprechen wollen: über Macht, Zugehörigkeit, Veränderungsdruck. Über das Unbehagen, dass andere anders arbeiten, anders denken – und uns damit herausfordern. Zukunftsfähigkeit entsteht dort, wo Differenz nicht glattgezogen, sondern gemeinsam verhandelt wird. Nicht über andere – sondern mit ihnen.

Der dritte igo-Fachtag war ein Raum dafür. Und vielleicht liegt genau darin der Perspektivwechsel: Wenn wir aufhören, über vermeintliche Eigenschaften von Generationen zu fantasieren – und stattdessen individuelle Erfahrungen als Ausgangspunkt für unterschiedliche Reaktionen auf systemische Herausforderungen begreifen –, könnten wir anfangen, wirklich gemeinsam zu gestalten.