Eindrücke von der CXI 23
Bei der CXI 23, der größten europäischen Konferenz für Corporate- und Brand-Identity, präsentierten am 26.05.2023 ausgewählte Agenturen und Unternehmen ihre Branding-Projekte, diskutierten Lösungen und gewährten Einblicke in den Entwicklungsprozess. Zur CXI fahre ich immer gerne, da die Konstellation, dass Agentur und Auftraggeber gemeinsam auf der Bühne stehen immer besondere Einblicke ermöglicht. Deshalb habe ich mich sehr gefreut, nach 2019, 2018, 2017, 2016 und 2015 wieder in Bielefeld dabei sein zu können.
Marken verbinden Menschen mit Produkten und Unternehmen
Das abwechslungsreiche Programm war mit fünf Vorträgen gut strukturiert und gut „verdaubar“. Besonders im Fokus stand für mich die Übertragbarkeit auf unsere tägliche Arbeit bei LIVING CONCEPT. Als „Key Take-aways“ kristallisierten sich in diesem Jahr drei wichtige Themen heraus:
- MVB – Minimal Viable Brand: Die Zeiten von ausführlichen Regelwerken und umfangreichen Manuals sind definitiv vorbei. Heutzutage können Marken nicht mehr bis ins kleinste Detail vorgegeben werden. Stattdessen benötigen sie wenige, klare Prinzipien und Elemente als Design System. Marken sollten inspirieren und zum spielerischen Umgang einladen. Ein Brand Manual (heutzutage meist online als Brand Portal verfügbar) sollte inspirierende Beispiele, Best Practices und kurze How-to-Videos bieten, um nicht wirkungslos „im Regal zu verstauben“.
- Dynamik: Marken müssen flexibel in ihrer Anwendung sein, nicht nur in statischer Form, sondern auch in Bewegung. Animationen im Hoch- und Querformat, Bewegung im Raum (Stichwort Metaverse) und Interaktionen spielen heute eine wichtige Rolle für die Wahrnehmung und bieten neue Gestaltungsmöglichkeiten.
- Viele Ideen: Um sehr gute Ideen zu generieren, bedarf es einer Vielzahl von Ideen. In nahezu allen Vorträgen wurden zahlreiche Varianten und Ansätze gezeigt, aus denen schließlich iterativ das finale Design entstand. Die Fähigkeit, aus dieser Vielfalt fundiert auszuwählen und die eigene Meinung zu begründen und zu erklären, wird immer wichtiger. (Brand) Design erfordert umfassende Sprachkompetenz.
Die einzelnen Vorträge:
More Spirit. Less Rules.
Škoda × Strichpunkt
In einem spannenden Case stellten gleich vier Referenten das neue Brand Design von Škoda vor. Petra Mackeová und Lukas Shon von Škoda präsentierten das Unternehmen und seine lange Geschichte. Als einer der ältesten Akteure in der Automobilbranche besteht der tschechische Autohersteller bereits seit 1895. Heutzutage zählt die Marke weltweit zu den erfolgreichsten und strebt bis 2030 CO₂-Neutralität an. Dies stellt hohe Anforderungen an die Marke. Das Brand Design, Produktdesign und die Kommunikation entstehen in verschiedenen Abteilungen und sollen natürlich möglichst harmonisch sein. Inken Barz und David Steingrüber von Strichpunkt Design veranschaulichten den Entwicklungsprozess auf eindrucksvolle Weise.
Der Fokus lag zunächst auf der Farbe. Das klassische Škoda-Grün wurde durch zwei neue Grüntöne ersetzt: das dunkle Emerald Green und das nahezu neonleuchtende Electric Green. Diese Veränderung stellt auch einen inspirierenden Impuls für „kleinere“ Marken dar und verdeutlicht auch, dass die CMYK-Umsetzbarkeit der Corporate-Design-Farben heutzutage für viele Marken nicht mehr so relevant ist. Im Digitaldruck und mit Sonderfarben sind heutzutage viele Möglichkeiten umsetzbar, und Anzeigen in Printmedien sind oft nur noch ein Randthema.
Die Zielsetzungen für die Weiterentwicklung umfassten Schlagworte wie Destinctiveness, Simplification, Flexibility und Excitement. Hier zeigt sich klar der Trend weg von komplexen Regelsystemen hin zu inspirierenden Best Practices, die in kurzen Videos vorgestellt werden. Die Marke lädt zu einem spielerischen Umgang ein, anstatt starre Vorgaben zu machen. „Mehr Spirit, weniger Regeln“ verkörpert die neue Philosophie der Marke.
Marke pro bono
Founderland × R/GA
Im zweiten Vortrag waren die Voraussetzungen völlig anders: ein engagiertes Start-up statt eines globalen Konzerns, ein Pro-Bono-Projekt statt (vermutlich) einer gut dotierten Aufgabe. Stephanie von Behr von Founderland und Jessica Krier von R/GA zeigten, dass auch unter solchen Bedingungen – oder vielleicht sogar gerade deswegen – spannendes Markendesign entstehen kann. Founderland setzt sich als NGO dafür ein, Woman-of-Color-Gründerinnen mit Investoren und Unterstützern zusammenzubringen und sie bei ihren Gründungen zu fördern. R/GA entwickelte sowohl den Namen weie den Markenauftritt als Pro-Bono-Projekt „nebenbei“.
Ein stringenter Prozess (4D: Discover, Define, Design, Deliver) und die Beteiligung vieler Mitarbeiter aus allen R/GA-Büros weltweit führten in kurzer Zeit zu Ergebnissen. Innerhalb von nur zwölf Wochen schuf R/GA die komplette Marke. Dabei war das Ziel immer nutzbare Ergebnisse zu schaffen, im Sinne eines „Minimal Viable Product“. Das Team verfolgte daher mehrere Ansätze und skizzierte zahlreiche Ideen. Besonderen Wert wurde auf die Sprache gelegt. Aus Hunderten von Ideen wurden fünf Namensvorschläge präsentiert, von denen nach intensiven Diskussionen unter den drei Gründerinnen schließlich Founderland ausgewählt wurde.
Das Brand Design ist ein modulares Designsystem (heute schon fast Standard). Es ist geprägt von lebendigen Farben und Symbolen (sowie zwei Google-Schriften). Hier darf jeder mit dem Design spielen. Aus Farben und Symbolen entstehen individuelle Flaggen für jede Gründerin. Eine spannende Idee für eigene Projekte ist ein gemeinsam befülltes Google-Slides-Dokument, in dem als „Playbook“ Anwendungsbeispiele gesammelt werden.
Leider blieb in der anschließenden Fragerunde nicht genug Zeit, um eine der spannendsten Fragen auf der CXI zu diskutieren: Hat Design ein Diversitätsproblem? Denn diverse Teams sind nicht nur ein Gebot von Fairness und Gerechtigkeit, sondern führen auch nachweislich zu besseren Ergebnissen. Ein Blick durch den Saal zeigte, dass es hier noch viel Verbesserungspotenzial gibt.
Packaging Design first
Jokolade × Mathilda Mutant
Nach der Mittagspause ging es lecker weiter: JOKOLADE, die Schokolade von Joko Winterscheidt, die nicht nur gut schmeckt, sondern auch Gutes tut. Fair, transparent und wunderbar bunt. Coralie Grau, CEO von JOKOLADE, und Designerin Martina „Mati“ Miocevic („Keine Website seit 2012“) präsentierten auf äußerst sympathische und zugängliche Weise, wie aus Jokos Wortspiel „Jokolade“ eine Marke entstanden ist, die heute in den Regalen von REWE und Co zu finden ist. Dabei strebt die Marke an, unter den Bedingungen der Branche maximal fair und transparent zu sein und sich kontinuierlich weiterzuentwickeln.
Der zentrale Dreh- und Angelpunkt dabei ist das Packaging Design. Obwohl einige Ideen aus produktionstechnischen Gründen nicht umgesetzt werden konnten und das Lebensmittelrecht sowie die Anforderungen des Handels gewisse Grenzen setzten und neue Anforderungen schufen, gelingt es dem kleinen Team dennoch, aus wenigen Bausteinen und Regeln (Das Brand Manual umfasst nur acht Seiten!) immer wieder neue Variationen für Sorten zu entwickeln und dabei auch die Community einzubeziehen.
Offen sprachen die beiden über die Herausforderungen, die kreative Auftraggeber wie Joko und Coralie mit ihren eigenen Ideen für Designschaffende darstellen („Wir haben da mal was gebaut …“), und wie sie diese durch freundschaftliche und intensive Kommunikation lösen.
More than Basketball
Veolia Towers × Sherpa Design
Die Towers sind die Basketball-Profimannschaft aus Hamburg. Ursprünglich 2006 von Jan Fischer und anderen als „Sport ohne Grenzen e. V.“ gegründet, spielen die Towers seit 2019 in der ersten Bundesliga. Bis heute zählt aber auch das Engagement für den Breitensport und für Jugendliche zu den Kernwerten der Towers.
Im Jahr 2022 stieg Veolia als Namenssponsor für die Profimannschaft ein. Der Einstieg von Veolia schuf die Voraussetzungen für einen umfassenden Markenrelaunch, für den sich Henning Klimczak und Christian Schönheit von Sherpa Design bereits vier Jahre zuvor ins Spiel gebracht hatten. Dranbleiben und Geduld zahlen sich also aus.
Für die Towers schuf Sherpa Design zusammen mit neue Foundry eine individuelle Schrift in drei Varianten (passenderweise „Defend“, „Dribble“ und „Dunk“ genannt), die als eines der drei dauerhaften Elemente des Brand Designs die Marke prägt. Die beiden anderen Elemente sind die Farben und die „Absenderschaft“, ein durchdachtes Logo- und Naming-System für die Profimannschaft und den Verein. Das bestehende Logo wurde stark vereinfacht und modernisiert, um auch für digitale Anwendungen und Merchandise besser nutzbar zu sein. Weitere Markenelemente wie Bildsprache und Layout können von Saison zu Saison weiterentwickelt werden, um immer wieder neue Impulse zu setzen und die Marke relevant zu halten.
Im Basketball sind Namenssponsoren nicht ungewöhnlich, daher war die Akzeptanz der Fans für den Namenswechsel recht hoch und die Begeisterung für das neue Design groß. Ein amüsanter Fakt am Rande: Der Einheizer der Mannschaft hatte das alte Logo als Tattoo auf dem Arm – jetzt trägt er auf dem anderen Arm das neue Logo.
Designing for the Future of Social Connection
Meta × Saffron
Der abschließende Vortrag hatte mit gleich mehreren Herausforderungen zu kämpfen. Zum einen ist eine globale Marke wie Facebook/Meta mit Milliarden von Nutzern für die meisten von uns weit entfernt vom Designalltag. Zum anderen war der Kopf nach den vorherigen vier Vorträgen bereits gut gefüllt. Hinzu kamen technische Schwierigkeiten bei der Übertragung des Live-Beitrags von Zach Stubenvoll aus Kalifornien. Doch Gabor Schreier von Saffron war auf der Bühne ein Profi und das CXI-Team hatte die Technik hinter den Kulissen schnell wieder im Griff. Ein großer Dank geht an das Organisationsteam, dass es geschafft hat, einen Vortrag dieses Kalibers nach Bielefeld zu bringen.
Zach und Gabor zeigten zunächst den Weg von der Produktmarke facebook zur Unternehmensmarke FACEBOOK und schließlich zu Meta. Dabei lag der Fokus vor allem auf der Marke im „dimensionalen Raum“ und wie sich Meta zu den zahlreichen Produktmarken wie Facebook, Instagram, WhatsApp oder Oculus verhält. Natürlich spielte das Metaverse eine bedeutende Rolle.
Die (sehr amerikanisch „amazing“) Meta-Unternehmenskultur und die Verheißungen des Metaverse fanden jedoch anscheinend nicht nur bei mir, sondern auch im Publikum wenig Anklang – Brand Design ist letztendlich nur ein Teil, der zur Brand Identity beiträgt. Und in dieser Hinsicht hat Meta noch einiges an Reputation aufzuholen. Es bleibt auch zu diskutieren, ob Mark Zuckerbergs Vision überhaupt erstrebenswert ist.
Dennoch war es natürlich spannend, einen Einblick in die Sichtweise des Unternehmens zu erhalten. Vielleicht waren alle auch einfach froh, nach so vielen Inspirationen und Anregungen bei bestem Wetter (und einem kühlen Getränk) das Gehörte und Gesehene nachklingen zu lassen.
P.S.: Wie, keine Künstliche Intelligenz?!
Ja, das aktuelle Buzzword fehlte tatsächlich: Künstliche Intelligenz (KI) war kein dominierendes Thema, abgesehen von einigen Publikumsfragen. Tools wie Midjourney oder ChatGPT sind jedoch längst als selbstverständlicher Bestandteil der Ideengenerierung etabliert. Denn – wie bereits erwähnt – wer gute Ideen haben möchte, benötigt viele Ideen. Ob diese von Kunden, aus der Community, dem eigenen Team oder von KI stammen, ist nebensächlich – je vielfältiger, desto besser.